Leseprobe zur Blogtour © Ethan Parker-Wilde

Prolog
 
Der Nachthimmel wird von unzähligen Sternen erhellt, während ich meiner Arbeit nachgehe und beobachte. Die Eiseskälte des Winters ist unerbittlich. Es ist trügerisch ruhig, doch so still die Nacht in diesem Moment auch ist, das sollte sich noch ändern…

Die Freundlichkeit dieses Dieners war kaum zu überbieten. Der alte, nachsichtige Gerret hatte ihm ein heißes Bad eingelassen, das Ian nach dem anstrengenden Tag dringend nötig hatte. Er hatte nichts weiter zu tun brauchen, als seine Kleidung abzulegen und ins Wasser zu steigen, nachdem er nach Hause gekommen war. Nun, es war genau genommen nicht sein Zuhause, sondern jenes des Mannes, den er abgöttisch liebte. Dieses hatte er auch nicht wie ein gewöhnlicher Mann betreten können, sondern sich unbeobachtet durch den Hintereingang schleichen müssen. Um niemanden bemerken zu lassen, dass sie ein Paar waren.
All diese Nebensächlichkeiten wollte er jetzt aus seinen Gedanken verbannen, während er den Duft des Lavendels genoss und der angenehm warme Dampf ihm die Sicht vernebelte.
Ein wunderschöner Abend stand ihm bevor und die Freude darauf konnte ihn zum Lächeln bringen. Trotz der Hölle, die er heute während der Ausübung seines Berufes durchlebt hatte.
Ein Verrückter oder vermutlich eher Neider hatte versucht, die armen Kühe eines halbwegs gut betuchten und beliebten Bauern zu vergiften. Zum Glück gelang es ihm nicht, da man das Pulver rechtzeitig aus den Trögen wischen konnte. Auf seiner Flucht hatte der Täter eine alte Magd und einen ebenso in die Jahre gekommenen Knecht verletzt, die ihn mutig eingreifend vom Verschwinden abhalten wollten. Die beiden Leute mussten von einem Doktor versorgt werden und trugen einige Wunden davon, die ihre Zeit zum Verheilen brauchen würden. Der Bauer machte sich die schwersten Vorwürfe, da er zur Zeit dieser Tat nicht auf dem Hof gewesen war, obgleich er selbst nichts an der Lage hätte ändern können.
Hagen Dörfler, der hartnäckige Detektiv, dessen Assistent er war – oder der er zumindest zu sein versuchte –, hatte alles daran gesetzt, diesen Bastard noch am selben Tag dingfest zu machen, doch es war ihnen nicht gelungen.
Unbehelligt lief also dieser manische Tierquäler dort draußen herum, während sie im Stockdunkeln tappten.
Weder Hagen noch ihm behagte es, die Arbeit für die Nacht niederlegen zu müssen, allerdings war ihnen schließlich nichts anderes übriggeblieben.
So wollte Ian sich dennoch – trotz der unschönen Umstände – auf den Abend freuen, den er in den Armen seines Geliebten verbringen würde. Des Mannes, dessen attraktives Lächeln ihm stets das heiße, schnell fließende Blut süßte und ihn sich fragen ließ, weshalb ausgerechnet er seine Nächte an Gerards Seite verbringen durfte.
Mitnichten hatte er die Gunst dieses Mannes verdient. Keinesfalls war er dem stattlichen Lord in irgendeiner Form gewachsen. Sein Wesen konnte man als langweilig und fade beschreiben, seine äußere Erscheinung bezeichnete man mit Vorliebe – und sehr passend zur Schilderung seines Charakters – als plump.
Das Führen einer guten Unterhaltung fiel ebenso wenig in sein Metier wie die Fähigkeit, einen passablen Liebhaber darzustellen. Sein Verhalten zwischen den Laken würde man zu seiner maßlosen Beschämung gewiss nicht nur als zurückhaltend, sondern gar schüchtern bezeichnen. Die Löschung jeglichen Lichts im Raum vor einem intimen Zusammensein war nicht die einzige Eigenart, die er an sich hatte.
Hierbei war es nicht hilfreich, dass ihm nur allzu bewusst war, nicht in Gerards Liga zu spielen. Nicht einmal annähernd.
Das änderte jedoch nichts daran, dass er diesen Mann wie verrückt liebte. Vermutlich verstärkte es die innigen Gefühle sogar.
Der dezente, beruhigende Geruch des Badewassers, sowie die wohlige Hitze eben dieses verhalfen ihm zu ein klein wenig Entspannung, obwohl er nicht erwartet hatte, diese so schnell zu finden.
All die Entkrampfung fand ein jähes Ende, als jener Lord, der seine Gedanken beherrschte, in das Badezimmer einfiel – wahrhaftig einfiel.
Ian schrak hoch, wobei etwas Wasser über den Rand der Wanne plätscherte, und bedeckte in einem Anfall von Beschämung seine Blöße, während er zu dem groß gewachsenen Gerard hochsah.
Dieser erwiderte seinen fragenden, verlegenen Blick mit einem besorgt anmutenden, ehe er ihn kurz musterte, um sich dann zu besinnen.
„Entschuldige, ich habe nicht daran gedacht“, räusperte er sich und nahm die Augen von ihm. „Wir müssen reden, Ian. Jetzt gleich.“
Mit diesen Worten, die ihn wirklich heftig beunruhigten, machte der schöne, dunkelblonde Lord in einer eleganten Bewegung auf dem Absatz kehrt, um im Türrahmen noch einmal innezuhalten und ihn anzutreiben, da Ian sich nicht rührte. „Es kann wirklich keine Sekunde länger warten.“
Als er erneut allein im Raum war, erhob er sich so eifrig, dass ihn Schwindel befiel. Unsanft trocknete er sich ab und schlüpfte in frische Kleidung, da er keine Unterredung jeglicher Art mit einem Leinentuch um die Hüften führen wollte. Ein Gefühl der Unruhe erfasste ihn und ließ es ihm mulmig werden. Was konnte so dringlich sein, dass es keine Sekunde warten konnte? Um diese Uhrzeit? Was war geschehen? Musste die Frage vielleicht gar viel eher was würde geschehen lauten? Sein Herz klopfte in unregelmäßigem Takt in seiner eng werdenden Brust, als er in das Schlafgemach trat, in dem Gerard und er sich nächtens in den Armen hielten.
„Du möchtest mit mir sprechen?“, machte er den stattlichen Adligen auf sich aufmerksam, der vor dem Kaminfeuer auf und ab wanderte und seinen teuren Gehrock dabei in Aufruhr versetzte. Ruckartig hielt er inne und wandte sich ihm zu. Der aufgewühlte Ausdruck in Gerards perfekt geformtem Gesicht – er konnte die feinen, aristokratischen Züge seines Gegenübers nicht anders beschreiben – machte Ian zugegebenermaßen Angst.
Ein Räuspern entrang sich der hörbar trockenen Kehle des Lords. „Ja, ich… muss dich leider bitten, mein Haus zu verlassen. Sofort.“
„Bitte?“, hakte Ian rau nach, da er in seiner Irrsinnigkeit hoffte, sich verhört zu haben oder gleich aus einem schrecklich bösen Albtraum zu erwachen. Sein Magen schmerzte auf höllische Weise und er fürchtete, sich gleich übergeben zu müssen, obwohl er an diesem Tag keinen Bissen gegessen hatte.
„Du musst gehen! Jetzt“, wiederholte Gerard beharrlicher, da Ian wieder einmal zu begriffsstutzig war, um zu verstehen, was der Lord von ihm wollte.
In diesem Moment schien es ihm allerdings verzeihlich, da der Mensch, den er über die Maße liebte, gerade im Begriff war, ihm seine Liebe zu entziehen.
Die schlanke Hand Gerards deutete flüchtig auf den gepackten Koffer, den Ian noch nicht bemerkt hatte, welcher jedoch bereits vor der Tür stand.
Durch die er gehen würde, sobald er seine Fähigkeit zur Bewegung erneut erlangte. Was eine Weile dauern könnte, beachtete man den Umstand, dass nicht einmal mehr sein Herz zu schlagen schien.
„Du willst… unsere Beziehung beenden?“, brachte er schließlich heiser hervor, als er seine Lippen endlich zu dieser Frage zwingen konnte. Warum stellte er sie überhaupt? War es nicht offensichtlich? Nein, bloß keine Tränen…
„Was? Nein!“, erwiderte Gerard eilig und machte einen Schritt auf ihn zu, ohne jedoch die Distanz zwischen ihnen gänzliche zu überwinden. „Es ist nur vorübergehend. Du kannst nicht bleiben, da mein Vater sich auf dem Weg hierher befindet. Ich habe selbst erst vor einer Stunde davon erfahren und wies sogleich Gerret an, ein paar deiner Sachen zu packen.“
Das war das Erste, was Gerard tat, wenn er von seines Vaters Besuch hörte? Ihn aus dem Haus werfen? Das war seine Priorität? Wie ernüchternd… und furchtbar verletzend. Ian schluckte hart, brachte den wenigen Speichel kaum dazu, seine zugeschnürte Kehle hinabzulaufen.
In diesem Augenblick stürzte das leckende Dach über seinen Illusionen zusammen und der tiefgehende Schmerz, den es ihm all die vergangenen Monate eingebracht hatte, so tun zu müssen, als wäre nichts zwischen ihnen, wurde übermächtig. Obwohl er ihn für gewöhnlich zu unterdrücken wusste.
Zwei dunkelblaue Augen sahen ihn unverwandt an und er musste sich abwenden, um sich sammeln zu können.
Zu seiner unbändigen Erleichterung gelang es ihm, denn es ermöglichte ihm einen halbwegs würdevollen Abgang.
„Nun, vielen Dank, dass du meine Sachen hast packen lassen“, entgegnete er so kühl und hochmütig seine Stimme es in diesem Moment vermochte.
Langsamen Schrittes ging er an dem Lord vorbei und griff mit der Linken nach dem Henkel seines Koffers, um die bebenden Finger seiner Rechten an die Türklinke zu legen. „Wenn du das nicht vollbringen kannst, werde ich den Schlussstrich unter diese Liebschaft ziehen. Streiche das vorübergehend und lass mir doch bitte den Rest meines Besitzes in Dörflers Büro bringen.“
Mit diesen Worten hastete er aus dem Zimmer und die Treppen hinunter, um aus diesem Stadthaus zu verschwinden und dabei allein schon aus Trotz zum ersten und letzten Mal den verdammten Vordereingang zu benutzen.
„Was redest du für einen verfluchten Blödsinn?“, rief Gerard ihm merkwürdig krächzend nach und musste sich beeilen, um ihn einzuholen.
Was er an der Eingangstür tat.
„Ian! Was soll diese unlogische Narrheit? Es soll doch nur für eine Weile sein. Weshalb willst du mich… mich verlassen?“
Der selbstsichere und manchmal gar herrische Adlige war leiser geworden. Mit einem Mal klang er verunsichert oder viel mehr irritiert.
Seine Hand griff behutsam und zugleich unnachgiebig nach Ians Oberarm, um ihn vom Gehen – oder lediglich vom Verschwinden durch den Eingang zur Straße – abzuhalten.
Mit einem unwilligen Ausstoßen von Luft riss Ian sich los und starrte seinem Gegenüber in die weit geöffneten Augen, während die seinen schmal wurden.
„Ich bin nicht Euer Spielzeug, Gerard de Caultier“, knurrte er fest und lief mit seinem völlig durchnässten Haar in die eiskalte Winternacht hinaus.
„Ian, bitte!“, rief Gerard ihm belegt und hart hinterher.
Gerard. Der vornehme Lord, der reiche Adlige, der herausragende Künstler, von dem er bisher kein einziges Werk gesehen hatte und der glaubte, alles und jeden besitzen und damit umspringen zu können, wie ihm beliebte.
Da der Lord gewiss nicht vorhatte, ihm nachzulaufen, da es ihn ja unter Verdacht bringen könnte und Ian es ihm ganz einfach nicht wert war, konnte dieser in der nächsten, schmalen Gosse innehalten, um sich in einer Nische zwischen zwei Häusern zu verbergen, und den Tränen gestatten, ihn zu überwältigen.


Der Drang, ihm nachzueilen, war übergroß. Er musste diesem mit aller Macht standhalten. Für sich selbst und für Ian. Er durfte nichts riskieren.
Seine Brust war mit einem Mal so furchtbar eng, dass sein rasendes Herz Gefahr lief, darin erdrückt zu werden. Ian… Nein…
Die Panik, die so lange Zeit verschwunden gewesen war, da Ian sie – ohne überhaupt von ihrer Existenz zu wissen – vertrieben hatte, war mit einem Schlag zurück und hämmerte lautstark an die Tür, durch die sein Mann soeben verschwunden war.
Gerard wollte ihr nicht öffnen und wich aufkeuchend zurück.
Die Luft wurde stickiger, schwerer in die Lungen zu ziehen. Alles um ihn herum verschwamm. Es wurde schrecklich dunkel, als hätte jemand all die Kerzen gelöscht, die jedoch noch brannten. Nur war der Schein davon kaum mehr zu sehen.
Atemlos rief er nach seinem Diener, den er jetzt dringlich an seiner Seite wissen musste. „Gerret! Bitte, Ian ist fort! Und der Dämon ist zurück!“
Sein Butler erschien wenige Sekunden später am Absatz der Treppe, auf deren unterste Stufe er ihn bugsierte.
„Bitte, ich kann nicht mehr atmen, Gerret“, brachte er in Verzweiflung hervor und griff nach den Handgelenken seines gebrechlichen Gegenübers.
„Natürlich könnt Ihr atmen, Herr. Ihr tut es doch“, korrigierte ihn der Alte beschwichtigend und Gerard wusste, dass es stimmte.
Dennoch konnten ihn die Worte und sein Wissen nicht beruhigen.
Ihm war, als würde sich der Boden unter ihm auftun und ihn verschlingen. Eiskalter Schweiß sammelte sich auf seiner heißen, in Falten gelegten Stirn. Jemand wischte diesen in einer fahrigen Bewegung fort.
„Bring das Laudanum“, wies Gerret einen der jüngeren Untergebenen in ruhigem Tonfall an. Schnelle Schritte führten hinauf in den oberen Stock. Das Geräusch schien ihm unglaublich laut, dröhnte in seinem Kopf.
„Langsamer atmen, Mylord. Viel zu viel Luft strömt in Eure Lungen. Es wird Euch überanstrengen“, ermahnte Gerret leise und klang merkwürdig fern.
Die Dunkelheit kroch näher, wurde übermächtig und wollte ihn einhüllen. Gerard wollte nicht davon erfasst werden und schloss für einen kurzen Moment die heiß brennenden Augen. Ein Wimmern entrang sich seiner sich schnell hebenden und senkenden Brust. „Gerret, Ihr müsst ihn zurückholen. Bitte holt Ian zurück. Er kann doch nicht einfach gehen. Er darf nicht… Ich will ihn bei mir haben“, flehte Gerard den alten Mann an, der verneinend den Kopf schüttelte.
„Nicht jetzt, Mylord. Nicht heute. Euer Vater…“
Vater. Es hallte schmerzhaft in seinen Ohren, brachte seinen Kopf und seine Eingeweide beinah zum Bersten. „Nein! Nicht mein Vater!“, keuchte er.
„Sh, sh. Wir werden den Dämon überstehen und Euren Vater ebenso, Herr.“
Seine Atemzüge beschleunigten sich erneut, obwohl sie kaum schneller gehen könnten. Ihm war so fürchterlich heiß, als würde er in loderndem Feuer stehen und kläglich darin verbrennen müssen. Ungeschickt wollte er die obersten Knöpfe seines Hemdes öffnen, um etwas Kühle einzulassen. Es gelang ihm nicht.
Gerret übernahm es an seiner Stelle, während er weiter auf ihn einredete. „Ruhig, Mylord. Seht mich an. Entschleunigt Euer Luftholen.“
Der junge Diener kam mit einer dunklen Flasche in der Hand zurück.
Alles drehte sich vor seinen trüber werdenden Augen.
Der grinsende Dämon drückte ihn gewaltsam zu Boden…
„Bleibt bei mir, mein Junge“, rief Gerret aus. Seine raue Stimme war nicht mehr beschwichtigend, sondern hatte etwas Nervöses angenommen.
Gerards Hinterkopf schlug mit dem Marmor der Treppe zusammen, doch er fühlte keinen Schmerz. Stattdessen verspürte er nur die Angst, die ihm alles raubte – den Atem, die Sicht, die Macht über seinen eigenen Körper.
Sogar Ian hatte sie ihm genommen. Ian. Den Menschen, den er am allermeisten auf dieser Welt brauchte. Den Mann, den er liebte.
Es war seine eigene Schuld. Es war die Feigheit, die es ihm nicht erlaubte, sich dem Teufel zu stellen und zu seinen Gefühlen für Mister Ian Toreno zu stehen, die weiter reichten als der Horizont.
„Mein Junge… könnt Ihr… mich… hören? Gebt… mit eine… Antwort!“
Diese Worte überschlugen und überlagerten sich in seinen wirren Gedanken.
Seine kalten, zitternden Lippen wurden von warmen Fingern geöffnet.
Scharf und bitter schmeckende Feuchtigkeit tropfte auf seine Zunge.
Der schwarze Deckel schloss sich über ihm… Nein, nicht!
Unerbittliche Finsternis hüllte ihn ein und wurde von einer allumfassenden Stille begleitet, der man nicht entkommen konnte.


Der Eine bricht machtlos auf den Stufen zusammen, der Andere weint in der Finsternis vor Kummer. Und während die Verzweiflung beider Männer spürbar in der kalten Luft liegt, nähert sich eine schwarze Kutsche den Stadttoren. In ihr ein mir bekannter Mann…

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