Prolog
Der
Nachthimmel wird von unzähligen Sternen erhellt, während ich meiner
Arbeit nachgehe und beobachte. Die Eiseskälte des Winters ist
unerbittlich. Es ist trügerisch ruhig, doch so still die Nacht in
diesem Moment auch ist, das sollte sich noch ändern…
Die
Freundlichkeit dieses Dieners war kaum zu überbieten. Der alte,
nachsichtige Gerret hatte ihm ein heißes Bad eingelassen, das Ian
nach dem anstrengenden Tag dringend nötig hatte. Er hatte nichts
weiter zu tun brauchen, als seine Kleidung abzulegen und ins Wasser
zu steigen, nachdem er nach Hause gekommen war. Nun, es war genau
genommen nicht sein
Zuhause, sondern jenes des Mannes, den er abgöttisch liebte. Dieses
hatte er auch nicht wie ein gewöhnlicher Mann betreten können,
sondern sich unbeobachtet durch den Hintereingang schleichen müssen.
Um niemanden bemerken zu lassen, dass sie ein Paar waren.
All
diese Nebensächlichkeiten wollte er jetzt aus seinen Gedanken
verbannen, während er den Duft des Lavendels genoss und der angenehm
warme Dampf ihm die Sicht vernebelte.
Ein
wunderschöner Abend stand ihm bevor und die Freude darauf konnte ihn
zum Lächeln bringen. Trotz der Hölle, die er heute während der
Ausübung seines Berufes durchlebt hatte.
Ein
Verrückter oder vermutlich eher Neider
hatte versucht, die armen Kühe eines halbwegs gut betuchten und
beliebten Bauern zu vergiften. Zum Glück gelang es ihm nicht, da man
das Pulver rechtzeitig aus den Trögen wischen konnte. Auf seiner
Flucht hatte der Täter eine alte Magd und einen ebenso in die Jahre
gekommenen Knecht verletzt, die ihn mutig eingreifend vom
Verschwinden abhalten wollten. Die beiden Leute mussten von einem
Doktor versorgt werden und trugen einige Wunden davon, die ihre Zeit
zum Verheilen brauchen würden. Der Bauer machte sich die schwersten
Vorwürfe, da er zur Zeit dieser Tat nicht auf dem Hof gewesen war,
obgleich er selbst nichts an der Lage hätte ändern können.
Hagen
Dörfler, der hartnäckige Detektiv, dessen Assistent er war – oder
der er zumindest zu sein versuchte –, hatte alles daran gesetzt,
diesen Bastard noch am selben Tag dingfest zu machen, doch es war
ihnen nicht gelungen.
Unbehelligt
lief also dieser manische Tierquäler dort draußen herum, während
sie im Stockdunkeln tappten.
Weder
Hagen noch ihm behagte es, die Arbeit für die Nacht niederlegen zu
müssen, allerdings war ihnen schließlich nichts anderes
übriggeblieben.
So
wollte Ian sich dennoch – trotz der unschönen Umstände – auf
den Abend freuen, den er in den Armen seines Geliebten verbringen
würde. Des Mannes, dessen attraktives Lächeln ihm stets das heiße,
schnell fließende Blut süßte und ihn sich fragen ließ, weshalb
ausgerechnet er
seine Nächte an Gerards Seite verbringen durfte.
Mitnichten
hatte er die Gunst dieses Mannes verdient. Keinesfalls war er dem
stattlichen Lord in irgendeiner Form gewachsen. Sein Wesen konnte man
als langweilig und fade beschreiben, seine äußere Erscheinung
bezeichnete man mit Vorliebe – und sehr passend zur Schilderung
seines Charakters – als plump.
Das
Führen einer guten Unterhaltung fiel ebenso wenig in sein Metier wie
die Fähigkeit, einen passablen Liebhaber darzustellen. Sein
Verhalten zwischen den Laken würde man zu seiner maßlosen
Beschämung gewiss nicht nur als zurückhaltend, sondern gar
schüchtern
bezeichnen. Die Löschung jeglichen Lichts im Raum vor einem intimen
Zusammensein war nicht die einzige Eigenart, die er an sich hatte.
Hierbei
war es nicht hilfreich, dass ihm nur allzu bewusst war, nicht in
Gerards Liga zu spielen. Nicht einmal annähernd.
Das
änderte jedoch nichts daran, dass er diesen Mann wie verrückt
liebte. Vermutlich verstärkte es die innigen Gefühle sogar.
Der
dezente, beruhigende Geruch des Badewassers, sowie die wohlige Hitze
eben dieses verhalfen ihm zu ein klein wenig Entspannung, obwohl er
nicht erwartet hatte, diese so schnell zu finden.
All
die Entkrampfung fand ein jähes Ende, als jener Lord, der seine
Gedanken beherrschte, in das Badezimmer einfiel – wahrhaftig
einfiel.
Ian
schrak hoch, wobei etwas Wasser über den Rand der Wanne plätscherte,
und bedeckte in einem Anfall von Beschämung seine Blöße, während
er zu dem groß gewachsenen Gerard hochsah.
Dieser
erwiderte seinen fragenden, verlegenen Blick mit einem besorgt
anmutenden, ehe er ihn kurz musterte, um sich dann zu besinnen.
„Entschuldige,
ich habe nicht daran gedacht“, räusperte er sich und nahm die
Augen von ihm. „Wir müssen reden, Ian. Jetzt gleich.“
Mit
diesen Worten, die ihn wirklich heftig beunruhigten, machte der
schöne, dunkelblonde Lord in einer eleganten Bewegung auf dem Absatz
kehrt, um im Türrahmen noch einmal innezuhalten und ihn anzutreiben,
da Ian sich nicht rührte. „Es kann wirklich keine Sekunde länger
warten.“
Als
er erneut allein im Raum war, erhob er sich so eifrig, dass ihn
Schwindel befiel. Unsanft trocknete er sich ab und schlüpfte in
frische Kleidung, da er keine Unterredung jeglicher Art mit einem
Leinentuch um die Hüften führen wollte. Ein Gefühl der Unruhe
erfasste ihn und ließ es ihm mulmig werden. Was konnte so dringlich
sein, dass es keine Sekunde warten konnte? Um diese Uhrzeit? Was war
geschehen? Musste die Frage vielleicht gar viel eher was
würde geschehen
lauten? Sein Herz klopfte in unregelmäßigem Takt in seiner eng
werdenden Brust, als er in das Schlafgemach trat, in dem Gerard und
er sich nächtens in den Armen hielten.
„Du
möchtest mit mir sprechen?“, machte er den stattlichen Adligen auf
sich aufmerksam, der vor dem Kaminfeuer auf und ab wanderte und
seinen teuren Gehrock dabei in Aufruhr versetzte. Ruckartig hielt er
inne und wandte sich ihm zu. Der aufgewühlte Ausdruck in Gerards
perfekt geformtem Gesicht – er konnte die feinen, aristokratischen
Züge seines Gegenübers nicht anders beschreiben – machte Ian
zugegebenermaßen Angst.
Ein
Räuspern entrang sich der hörbar trockenen Kehle des Lords. „Ja,
ich… muss dich leider bitten, mein Haus zu verlassen. Sofort.“
„Bitte?“,
hakte Ian rau nach, da er in seiner Irrsinnigkeit hoffte, sich
verhört zu haben oder gleich aus einem schrecklich bösen Albtraum
zu erwachen. Sein Magen schmerzte auf höllische Weise und er
fürchtete, sich gleich übergeben zu müssen, obwohl er an diesem
Tag keinen Bissen gegessen hatte.
„Du
musst gehen! Jetzt“, wiederholte Gerard beharrlicher, da Ian wieder
einmal zu begriffsstutzig war, um zu verstehen, was der Lord von ihm
wollte.
In
diesem Moment schien es ihm allerdings verzeihlich, da der Mensch,
den er über die Maße liebte, gerade im Begriff war, ihm seine Liebe
zu entziehen.
Die
schlanke Hand Gerards deutete flüchtig auf den gepackten Koffer, den
Ian noch nicht bemerkt hatte, welcher jedoch bereits vor der Tür
stand.
Durch
die er gehen würde, sobald er seine Fähigkeit zur Bewegung erneut
erlangte. Was eine Weile dauern könnte, beachtete man den Umstand,
dass nicht einmal mehr sein Herz zu schlagen schien.
„Du
willst… unsere Beziehung beenden?“, brachte er schließlich
heiser hervor, als er seine Lippen endlich zu dieser Frage zwingen
konnte. Warum stellte er sie überhaupt? War es nicht offensichtlich?
Nein,
bloß keine Tränen…
„Was?
Nein!“, erwiderte Gerard eilig und machte einen Schritt auf ihn zu,
ohne jedoch die Distanz zwischen ihnen gänzliche zu überwinden. „Es
ist nur vorübergehend. Du kannst nicht bleiben, da mein Vater sich
auf dem Weg hierher befindet. Ich habe selbst erst vor einer Stunde
davon erfahren und wies sogleich Gerret an, ein paar deiner Sachen zu
packen.“
Das
war das Erste, was Gerard tat, wenn er von seines Vaters Besuch
hörte? Ihn aus dem Haus werfen? Das war seine Priorität? Wie
ernüchternd… und furchtbar verletzend. Ian schluckte hart, brachte
den wenigen Speichel kaum dazu, seine zugeschnürte Kehle
hinabzulaufen.
In
diesem Augenblick stürzte das leckende Dach über seinen Illusionen
zusammen und der tiefgehende Schmerz, den es ihm all die vergangenen
Monate eingebracht hatte, so tun zu müssen, als wäre nichts
zwischen ihnen, wurde übermächtig. Obwohl er ihn für gewöhnlich
zu unterdrücken wusste.
Zwei
dunkelblaue Augen sahen ihn unverwandt an und er musste sich
abwenden, um sich sammeln zu können.
Zu
seiner unbändigen Erleichterung gelang es ihm, denn es ermöglichte
ihm einen halbwegs würdevollen Abgang.
„Nun,
vielen Dank, dass du meine Sachen hast packen lassen“, entgegnete
er so kühl und hochmütig seine Stimme es in diesem Moment
vermochte.
Langsamen
Schrittes ging er an dem Lord vorbei und griff mit der Linken nach
dem Henkel seines Koffers, um die bebenden Finger seiner Rechten an
die Türklinke zu legen. „Wenn du
das nicht vollbringen kannst, werde ich
den Schlussstrich unter diese Liebschaft ziehen. Streiche das
vorübergehend
und lass mir doch bitte den Rest meines Besitzes in Dörflers Büro
bringen.“
Mit
diesen Worten hastete er aus dem Zimmer und die Treppen hinunter, um
aus diesem Stadthaus zu verschwinden und dabei allein schon aus Trotz
zum ersten und letzten Mal den verdammten Vordereingang zu benutzen.
„Was
redest du für einen verfluchten Blödsinn?“, rief Gerard ihm
merkwürdig krächzend nach und musste sich beeilen, um ihn
einzuholen.
Was
er an der Eingangstür tat.
„Ian!
Was soll diese unlogische Narrheit? Es soll doch nur für eine Weile
sein. Weshalb willst du mich… mich verlassen?“
Der
selbstsichere und manchmal gar herrische Adlige war leiser geworden.
Mit einem Mal klang er verunsichert oder viel mehr irritiert.
Seine
Hand griff behutsam und zugleich unnachgiebig nach Ians Oberarm, um
ihn vom Gehen – oder lediglich vom Verschwinden durch den Eingang
zur Straße – abzuhalten.
Mit
einem unwilligen Ausstoßen von Luft riss Ian sich los und starrte
seinem Gegenüber in die weit geöffneten Augen, während die seinen
schmal wurden.
„Ich
bin nicht Euer Spielzeug, Gerard de Caultier“, knurrte er fest und
lief mit seinem völlig durchnässten Haar in die eiskalte
Winternacht hinaus.
„Ian,
bitte!“, rief Gerard ihm belegt und hart hinterher.
Gerard.
Der vornehme
Lord, der reiche
Adlige, der herausragende
Künstler, von dem er bisher kein einziges Werk gesehen hatte und der
glaubte, alles und jeden besitzen und damit umspringen zu können,
wie ihm beliebte.
Da
der Lord gewiss nicht vorhatte, ihm nachzulaufen, da es ihn ja unter
Verdacht bringen könnte und Ian es ihm ganz einfach nicht wert war,
konnte dieser in der nächsten, schmalen Gosse innehalten, um sich in
einer Nische zwischen zwei Häusern zu verbergen, und den Tränen
gestatten, ihn zu überwältigen.
Der
Drang, ihm nachzueilen, war übergroß. Er musste diesem mit aller
Macht standhalten. Für sich selbst und für Ian. Er durfte nichts
riskieren.
Seine
Brust war mit einem Mal so furchtbar eng, dass sein rasendes Herz
Gefahr lief, darin erdrückt zu werden. Ian…
Nein…
Die
Panik, die so lange Zeit verschwunden gewesen war, da Ian sie –
ohne überhaupt von ihrer Existenz zu wissen – vertrieben hatte,
war mit einem Schlag zurück und hämmerte lautstark an die Tür,
durch die sein Mann soeben verschwunden war.
Gerard
wollte ihr nicht öffnen und wich aufkeuchend zurück.
Die
Luft wurde stickiger, schwerer in die Lungen zu ziehen. Alles um ihn
herum verschwamm. Es wurde schrecklich dunkel, als hätte jemand all
die Kerzen gelöscht, die jedoch noch brannten. Nur war der Schein
davon kaum mehr zu sehen.
Atemlos
rief er nach seinem Diener, den er jetzt dringlich an seiner Seite
wissen musste. „Gerret! Bitte, Ian ist fort! Und der Dämon ist
zurück!“
Sein
Butler erschien wenige Sekunden später am Absatz der Treppe, auf
deren unterste Stufe er ihn bugsierte.
„Bitte,
ich kann nicht mehr atmen, Gerret“, brachte er in Verzweiflung
hervor und griff nach den Handgelenken seines gebrechlichen
Gegenübers.
„Natürlich
könnt Ihr atmen, Herr. Ihr tut es doch“, korrigierte ihn der Alte
beschwichtigend und Gerard wusste, dass es stimmte.
Dennoch
konnten ihn die Worte und sein Wissen nicht beruhigen.
Ihm
war, als würde sich der Boden unter ihm auftun und ihn verschlingen.
Eiskalter Schweiß sammelte sich auf seiner heißen, in Falten
gelegten Stirn. Jemand wischte diesen in einer fahrigen Bewegung
fort.
„Bring
das Laudanum“, wies Gerret einen der jüngeren Untergebenen in
ruhigem Tonfall an. Schnelle Schritte führten hinauf in den oberen
Stock. Das Geräusch schien ihm unglaublich laut, dröhnte in seinem
Kopf.
„Langsamer
atmen, Mylord. Viel zu viel Luft strömt in Eure Lungen. Es wird Euch
überanstrengen“, ermahnte Gerret leise und klang merkwürdig fern.
Die
Dunkelheit kroch näher, wurde übermächtig und wollte ihn
einhüllen. Gerard wollte nicht davon erfasst werden und schloss für
einen kurzen Moment die heiß brennenden Augen. Ein Wimmern entrang
sich seiner sich schnell hebenden und senkenden Brust. „Gerret, Ihr
müsst ihn zurückholen. Bitte holt Ian zurück. Er kann doch nicht
einfach gehen. Er darf nicht… Ich will ihn bei mir haben“, flehte
Gerard den alten Mann an, der verneinend den Kopf schüttelte.
„Nicht
jetzt, Mylord. Nicht heute. Euer Vater…“
Vater.
Es hallte schmerzhaft in seinen Ohren, brachte seinen Kopf und seine
Eingeweide beinah zum Bersten. „Nein! Nicht mein Vater!“, keuchte
er.
„Sh,
sh. Wir werden den Dämon überstehen und Euren Vater ebenso, Herr.“
Seine
Atemzüge beschleunigten sich erneut, obwohl sie kaum schneller gehen
könnten. Ihm war so fürchterlich heiß, als würde er in loderndem
Feuer stehen und kläglich darin verbrennen müssen. Ungeschickt
wollte er die obersten Knöpfe seines Hemdes öffnen, um etwas Kühle
einzulassen. Es gelang ihm nicht.
Gerret
übernahm es an seiner Stelle, während er weiter auf ihn einredete.
„Ruhig, Mylord. Seht mich an. Entschleunigt Euer Luftholen.“
Der
junge Diener kam mit einer dunklen Flasche in der Hand zurück.
Alles
drehte sich vor seinen trüber werdenden Augen.
Der
grinsende Dämon drückte ihn gewaltsam zu Boden…
„Bleibt
bei mir, mein Junge“, rief Gerret aus. Seine raue Stimme war nicht
mehr beschwichtigend, sondern hatte etwas Nervöses angenommen.
Gerards
Hinterkopf schlug mit dem Marmor der Treppe zusammen, doch er fühlte
keinen Schmerz. Stattdessen verspürte er nur die Angst, die ihm
alles raubte – den Atem, die Sicht, die Macht über seinen eigenen
Körper.
Sogar
Ian hatte sie ihm genommen. Ian.
Den Menschen, den er am allermeisten auf dieser Welt brauchte. Den
Mann, den er liebte.
Es
war seine eigene Schuld. Es war die Feigheit, die es ihm nicht
erlaubte, sich dem Teufel zu stellen und zu seinen Gefühlen für
Mister Ian Toreno zu stehen, die weiter reichten als der Horizont.
„Mein
Junge… könnt Ihr… mich… hören? Gebt… mit eine… Antwort!“
Diese
Worte überschlugen und überlagerten sich in seinen wirren Gedanken.
Seine
kalten, zitternden Lippen wurden von warmen Fingern geöffnet.
Scharf
und bitter schmeckende Feuchtigkeit tropfte auf seine Zunge.
Der
schwarze Deckel schloss sich über ihm… Nein,
nicht!
Unerbittliche
Finsternis hüllte ihn ein und wurde von einer allumfassenden Stille
begleitet, der man nicht entkommen konnte.
Der
Eine bricht machtlos auf den Stufen zusammen, der Andere weint in der
Finsternis vor Kummer. Und während die Verzweiflung beider Männer
spürbar in der kalten Luft liegt, nähert sich eine schwarze Kutsche
den Stadttoren. In ihr ein mir bekannter Mann…
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